Die Fachschule Sozialpädagogik hat sich mit der Klasse S221 und ihrem Politiklehrer Andreas Jäkel mit einer Aktion an dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus beteiligt. Sie haben in Marxloh ein selbst verfasstes Flugblatt verteilt, das von der Kollegin Nurcan Yildirim ins Türkische übersetzt wurde.

FLUGBLÄTTER WIDER DAS VERGESSEN / KLASSE S221

Das Konzentrationslager Auschwitz steht, wenn der Tag der Befreiung seiner überlebenden Gefangenen uns alljährlich am 27. Januar Anlass zum Gedenken geben soll, stellvertretend für die Mordmaschinerie des Nationalsozialismus und die Millionen von Menschen, die dieser industrialisierten Barbarei dort und anderswo zum Opfer gefallen sind. Doch so gut dieser Gedenktag auch gemeint ist, er kann nicht genügen, sofern wir es als unser aller Aufgabe betrachten, dafür Sorge zu tragen, dass sich Ähnliches nicht erneut zuträgt.

Tatsächlich wiederholt sich die für den Geschichtslehrer immer noch erschreckende Erfahrung, dass in vielen Klassen die Zahl jener Schüler*innen, die so gut wie nichts über diese Zeit und die maßgeblich von Deutschen begangenen Verbrechen wissen, bei weitem überwiegt, und zwar obwohl die meisten dieser jungen Leute hier aufgewachsen sind und, am Berufskolleg angekommen, ja bereits mindestens 9 Jahre in unserem schulischen Bildungssystem zugebracht haben. Eine der häufigsten Fragen im Unterricht lautet nach wie vor: „Was ist denn das, so ´n Holocaust?“

Nun will dieser kurze Artikel aber nicht untersuchen, an welcher Stelle hier ein Versagen vorliegt, und ganz sicher will er den erwähnten Schüler*innen ihre bisherige Unwissenheit nicht als Schuld zuschieben. Vielmehr mögen diese Zeilen verdeutlichen, wie groß der Handlungsbedarf ist. Die Aufgabe des Erinnerns und der Gegenwehr gegen neofaschistische und rassistische Tendenzen bleibt eine gesamtgesellschaftliche!

Als GL-Lehrer habe ich das Thema der nationalsozialistischen Verfolgung und Ermordung als „rassisch minderwertig“ betrachteter Menschen und politischer Gegner gegen Ende des vergangenen Halbjahres u. a. in einer Klasse angehender Erzieher*innen behandelt. Etliche Schüler*innen hörten zum ersten Mal davon, nicht zuletzt, weil dieser Teil der deutschen Geschichte auch in ihren Elternhäusern nie besprochen worden ist. So wuchs dann der Entschluss, zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus die Schule zu verlassen und auch ältere Mitbürger*innen auf das geschehene Grauen hinzuweisen, das Gelernte, wenigstens in relativ kurzer Form, nach außen zu tragen und weiterzugeben.

Hierfür bot sich die Form des Flugblatts an, auch weil Sophie Scholl, der unsere Schule ihren Namen verdankt, zu diesem Mittel gegriffen hatte, um die Deutschen aufzurütteln. Zudem fielen sie selbst und ihre beteiligten Freunde daraufhin der Unrechtsprechung des Regimes zum Opfer, sodass auch dieser mutigen jungen Menschen gedacht werden sollte. Die Kollegin Yildirim übersetzte uns den Text freundlicherweise ins Türkische, um so zumindest eine Sprachbarriere zu vermeiden.

Ein ähnliches Schicksal wie Sophie Scholl hatten wir bei der Aktion selbstverständlich nicht zu befürchten, doch als wir in den Morgenstunden des 27. Januar 2023 begannen, das erstellte Flugblatt über den Holocaust in Marxloh zu verteilen, machten wir schnell ganz unterschiedliche Erfahrungen. Die Reaktionen reichten von aufrichtigem Interesse über die höfliche Entgegennahme des Papiers bis zu offener Ablehnung, wobei sich alle Verhaltensweisen quer durch die Altersgruppen und Herkunftshintergründe zogen. Insgesamt aber überwog immerhin die positive Resonanz deutlich. Zwei Schüler*innen äußern sich folgendermaßen über ihre Erfahrungen während der Verteilung:

„Es war sehr überraschend, wie viele Bürger die Flyer angenommen und sogar durchgelesen haben. Wir sind sogar fast alle losgeworden. Ich fand es persönlich nur schade, dass manche gar nicht erst hingehört haben und mit einem negativen Blick weitergegangen sind oder uns komplett ignoriert haben. Ich glaube, die meisten wussten gar nicht, worum es überhaupt ging und wieso wir da standen, um diese Flugblätter zu verteilen. Ich finde es sehr wichtig, den Mitmenschen davon zu erzählen, was für schreckliche Dinge damals im Namen Deutschlands geschehen sind, damit wir das nicht vergessen.“ (Hannah)

„Bei mir hat es relativ gut geklappt. Zwar haben einige das Flugblatt nicht angenommen oder hatten schon eins, aber ich habe keine negativen Äußerungen bemerkt zu diesem Thema. Die Leute haben respektvoll drauf reagiert und die, die unseren Flyer angenommen haben, haben ihn auch angeschaut. Leider flogen ein paar Flyer kurzerhand schon auf dem Boden herum.“ (Lena)

Letztlich bedauerte, dies sei festgehalten, niemand die Aktion und Schüler*innen wie Lehrkraft können sich durchaus vorstellen, erneut in ähnlicher Weise aktiv zu werden.

Andreas Jäkel als GL-Lehrer der Klasse S221